UNSICHTBARE FUNKEN

Los! Hinein mit dir! Geh doch! Was? Du willst nicht? Stell dich nicht so an! Los, die Sternspritzer sind gleich aus! Schau, die Packerl warten! Alle Kinder lieben doch diesen Moment!

Alle?

Nein, nicht alle.

Ich kann jetzt nicht wirklich gut schreiben oder mich konzentrieren, da mein Sohn auf meinem Schoß sitzt. Er konnte heute nicht in die Schule hinein gehen. Er konnte es einfach nicht. Er hat geweint, gebrüllt und geschluchzt: „Ich weiß nicht, warum das immer vor Weihnachten passiert! Wann ist der 24. endlich vorbei?“.

Ich wollte eigentlich etwas anderes schreiben, doch ich habe mich umentschieden. Ich möchte diesen Blogbeitrag allen Kindern widmen, die sich freuen, wenn morgen Abend, am 24. Dezember endlich irgendwann Stille einkehrt.

Ich meine besonders diese Kinder, die Klänge, Gesänge, Lichter und Gerüche ganz anders, viel intensiver wahrnehmen als die meisten Menschen. Die, die sich tatsächlich nicht freuen, wenn in der Schule vor Weihnachten der ganz normale Schulalltag außer Kraft gesetzt wird und Filme angeschaut werden anstatt zu rechnen, Kekse gebacken werden, für das Weihnachtstheater geprobt wird und ausnahmsweise den ganzen Vormittag für den Weihnachtsmarkt gebastelt wird. Für die meisten Kinder eine wunderbare Zeit - für manche aber ein Verlust sicherer Strukturen, der sich verwirrend und beunruhigend anfühlt.

Wie unsichtbare Funken/ATRIUM/2023

So würde es wahrscheinlich auch Addie empfinden, die Protagonistin aus „Wie unsichtbare Funken“ (ATRIUM), wenn der Kinderroman zur Weihnachtszeit spielen würde, denn ihre Sinne sind so scharf, dass die Welt für sie manchmal einfach überwältigend ist. Ob Licht, Geräusche oder Gefühle, ihr wird schnell alles zu viel. Dann fühlt es sich an, als würden unsichtbare Funken um ihren Körper kreisen.

Die Bibliothek ist Addies Zufluchtsort. Laute Gespräche sind hier nicht erlaubt und es gibt viele Regeln, sogar "Die Wörter halten sich an die Regeln“. Sie leiht sich Bücher über Hexenprozesse aus und will alles darüber erfahren. Aus diesem Spezialinteresse heraus, dem sich  Addie exzessiv widmet, ergibt sich ein spannender Handlungsstrang.

Addie ist Autistin, wie ihre Erfinderin Elle McNicoll, die in dieser Geschichte erzählt, wie es sich anfühlt, mit solchen „Funken sprühenden Sinnen“ durch die Welt zu gehen. Nach dieser Lektüre versteht man vielleicht ein bisschen besser, warum Weihnachten nicht für alle die schönste Zeit im Jahr ist.

Ich wünsche euch allen ein wirklich möglichst ruhiges und besinnliches Weihnachtsfest!