"Die drei Spatzen" und eine Ode an die Poesie

 

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Ihr Lieben! Wer von euch kennt es noch, das gute, alte Poesiealbum?

Heute oft verdrängt von coolen, bunten, vorbedruckten Freundschaftsbüchern, wartete das Poesiealbum mit schlichten, leeren Seiten auf. Während die Freundschaftsbücher im ersten Moment auf mich als Kind immer sehr verlockend wirkten, - denn schließlich waren darauf die Charaktere der Lieblings-TV-Serie, die Lieblings-Fußballstars oder sonstiges Vermarktbares abgebildet - so kam die Ernüchterung meistens beim Ausfüllen oder Durchblättern der (zurückbekommenen) Bücher. Denn: Kennt man eines, kennt man im Wesentlichen alle. Dieselben vorgefertigten Fragen, dieselben halbgaren Antworten, dieselbe Unlust der Freunde, ein ordentliches Foto hineinzukleben, usw. Auf diese Weise offenbarte sich am Ende immer die Oberflächlichkeit des Inhalts und (ich weiß nicht, wie es euch damit ergangen ist, aber) ich war damals oft enttäuscht von dem Ergebnis. Und trotzdem griff ich im Papierladen das nächste Mal wieder nach einem neuen, noch “cooleren” Exemplar.

Was ich damals noch nicht verstand, war, dass Kreativität neben Impulsen auch einen gewissen Leerraum braucht, die diese Bücher design-, aber auch platztechnisch gar nicht leisten konnten.

Für einen Eintrag ins Poesiealbum hingegen, müssen sich die Schreiber*innen zuerst Gedanken über die Auswahl eines Spruchs oder Gedichtes machen, die dann einerseits viel über den Charakter dieses Menschen aussagt, andererseits einen ganz persönlichen Wunsch vermittelt, den man den lieben Albumbesitzer*innen mit auf den Weg geben möchte. Das Schlagobershäubchen oben drauf kommt zum Schluss noch in Form der bildnerischen Gestaltung, die - egal wie “talentiert” oder “konventionsbefreit” - beim späteren Durchblättern immer legendär bleiben wird.

 

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Meine Tante nun hatte die Angewohnheit, das Poesiealbum in einem ganz anderen Sinne zu gebrauchen. Da sie aus einer großen Familie stammt und auch immer viele Nachbars-, später Kindeskinder um sich hat und hatte, pflegte sie in ihrer Küchenlade neben dem gemütlichen Holzofen stets ein solches Büchlein zu verwahren. Wenn man dann als kleiner Dreikäsehoch daherkam und ihr ein neues Gedicht, das man z.B. im Kindergarten gelernt hatte, auswendig aufsagen konnte, dann wurde es zur Belohnung (!) in das Posiealbum geschrieben oder, wenn man denn schon einen Stift gerade halten konnte, durfte man es natürlich selber hineinschreiben. Was für ein erhebendes Gefühl! :)

Ganz abgesehen davon, dass man dadurch ermutigt wurde, etwas auch richtig richtig doll auswendig zu können, vermittelte diese herrlich altmodische Tradition auf ganz natürliche Weise eine unheimliche Wertschätzung von Literatur, Schreibkultur und immaterieller Motivation.

In Erinnerung an mein eigenes Poesiealbum, das mir leider, fast randvoll, einmal nicht mehr zurückgegeben wurde, von dessen Seiten ich aber viele noch wie kleine Bildschätze in meinem Kopf gespeichert habe, möchte ich euch heute ein Gedicht mitgeben, das mich schon seit dem Kindergarten begleitet und außerdem von einem meiner Lieblingspoeten stammt.

Möge es euren winterlichen Alltag genau so kuschlig erhellen, wie es das stets für mich getan hat.


In einem leeren Haselstrauch
sitzen drei Spatzen Bauch an Bauch.
Der Erich links und rechts der Franz
und mitten drin der freche Hans.
Sie drücken die Augen zu, ganz zu,
und oben drüber, da schneit es, hu!
Sie rücken zusammen, dicht an dicht -
So warm wie der Hans hat’s niemand nicht!
Sie hör’n alle drei ihr Herzlein Gepoch’
Und wenn sie nicht weg sind, so sitzen sie noch.

Christian Morgenstern