Knusper, knusper, knäuschen...

Es war einmal ein Häuschen, einem alten Mütterlein gleich, mit liebenswerten Runzeln und Falten und vielen Jahren auf dem gekrümmten Rücken. Windschief war das Dach und glanzlos das alte Gemäuer, gezeichnet von vielen Jahren der Entbehrung.
Holundersträucher beschützten es vor den Geistern der Vergangenheit und allerlei Getier hatte sich in den Ritzen und Winkeln ein Zuhause gesucht.
So ging die Zeit dahin und das alte Häuschen fühlte sich jedes Jahr müder und müder. Ob es nicht endlich an der Zeit war sich zur Ruhe zu legen, fragte es sich immer öfter. Es ließ die Fensterläden fallen, die alten Türen knarren und die Balken ächzten unter der Last der Jahre.
Sein ganzes Leben zog an ihm vorüber. Was hatte es nicht alles schon gesehen.
Prinzen und Prinzessinnen und ihr Gefolge hatten dem Häuschen Besuche abgestattet. Dienstboten, Mägde und Knechte hatten darin gewohnt. Bauersleute kamen darin unter und ebenso ihr Werkzeug und ihre Fuhrwerke.
Ein Sammelsurium an Lebenserfahrungen ließ sich darin finden. Butterfässer und Bienenstöcke zeugten vom fleißigen Leben der vergangenen Bewohner. Hufeisen und Sensen erinnerten an arbeitsreiche Jahre voller Müh und Plag.
All das und noch viel mehr hatte das alte Häuschen gesehen. Vorübergegangen waren die Menschen und Jahre. Und nun stand es hier. Müde und alt knickte es unter dem Wind der Zeit ein. Was sollte nur werden?

Da kamen eine Frau und ihr Mann des Weges. Der Mann war ein geschickter Handwerker, der seine Sache verstand und die Frau sehnte sich nach einem Ort, an dem sie ihren Zauber wirken konnte.
Und so geschah es, dass das alte Häuschen die Eheleute einließ. Was konnten zwei Bewohner mehr noch schaden.
Doch es dauerte nicht lange, da merkte das alte Häuschen, dass etwas Seltsames vor sich ging. Wo vorher nur der Wind an den Außenmauern geknuspert hatte, knusperte es nun auch in seinem Inneren. Ein Seufzen und Ächzen entrangen sich tief aus der Seele des Häuschens und es dachte schon sein letztes Stündlein hätte nun endgültig geschlagen.
Während das Häuschen glaubte, in seinen letzten Zügen zu liegen und sein Leben aushauchen zu müssen, schickten sich die Hände des Mannes an, das Häuschen zu neuem Leben zu erwecken. Erst befreite er es von der Last der vergangenen Jahre. Schicht um Schicht trug er die Mauern im Inneren ab. Das krumme Dach musste weichen und der Wind knusperte nun auch ungehindert an den Innenwänden. Das Häuschen wand und schüttelte sich. Doch es half nichts. Schon reute es das alte Häuschen diese letzten Bewohner eingelassen zu haben und als es jede Hoffnung aufgegeben hatte, durchfuhr es plötzlich neuer Lebensmut.

Der Mann richtete es wieder auf. Die Ziegel, die er abgetragen hatte, nahmen neue Gestalt an und formten sich zu Lebensräumen. Das Holz, dass den Dachstuhl nicht mehr tragen konnte, ließ die Bewohner nun Halt an der Treppe finden. Als das Häuschen in neuem Glanz erstrahlte, fühlte es sich seltsam jung und doch reich an Erfahrung und Weisheit.

Da begann die Frau im Inneren des Häuschens ihren Zauber zu wirken. Sie erweckte Worte und Bilder zum Leben, Geschichten nisteten sich nun im Häuschen ein. Nach und nach füllte es sich mit Leben. Allerlei Feen und Wichtel zogen ein und füllten die Räume mit Lachen und Gesang. Die Magie der Worte öffnete neue Welten und zog die Besucher in ihren Bann.

Die Frau lud zur Gespensterstunde und tatsächlich folgten sie ihrem Ruf. Selbst Frau Holle ließ sich nicht lange bitten und schüttelte ihre Federbetten aus. Die kleinen Wichtel und Feen tanzten und sangen durch das Häuschen.
Allerlei Wunderdinge sammelten sich durch die Geschichten, die die Frau im Häuschen zum Leben erweckte, an.

Nach wie vor strich der Wind mit himmlischen Flügeln um das Haus. Dann fragte die Frau: „Knusper, knusper, knäuschen, wer knabbert an meinem Häuschen?“ Da lachte das Häuschen mit leichtem Herzen und frei von alter Last in sich hinein und freute sich an dem frischen Wind, der es erfasst hatte.

In Stephanshart, im schönen Mostviertel nahe Amstetten, steht unser Knusperhäuschen. Ein altes „Hausstöckl“, das bereits einige hundert Jahre auf dem Buckel hat. Es wird vermutet, dass es einst ein „Diensthaus“ war.
Im Jahr 2020 begannen mein Mann und ich mit der Restaurierung des Gebäudes. Bis dahin hatte es uns als Hühnerhäuschen und Abstellplatz gedient. Da das Gebäude jedoch immer abbruchreifer wurde, stellte sich die Frage, ob wir ihm nicht neues Leben einhauchen sollten. Mit viel Liebe zum Detail erschufen wir einen Ort, an dem ich meine Literaturvermittlungsangebote in einem märchenhaften Rahmen anbieten kann. Hinter dem Häuschen finden sich ein Obstgarten, der viel Platz für MINT-Veranstaltungen bietet. Im angrenzenden Bauerngarten können kleine Kräuterhexen selbst Kräuter und Blumen sammeln. Rund um das Knusperhäuschen gibt es viel zu entdecken. Waldameisen, Schafe, Erdbienen und allerlei Tiere und Pflanzen lassen sich beobachten und bieten Erzähl- und Schreibanlässe.
Und so leben wir glücklich und zufrieden bis ans Ende unserer Tage.

Denn so wie Hans Christian Andersen schon sagte: “Das schönste Märchen ist das Leben selbst.”